Vor Jahren fuhr ich einmal mit dem Bus von der Stadt in mein Dorf. Da sassen vorne, gleich hinter dem Chauffeur zwei Menschen, denen man ansah, dass sie aus einem fernen Land zu uns gekommen sind. Der Bus war voll, es war Feierabend, und als unterwegs noch Leute zustiegen, gab es bald keine Sitzplätze mehr. Da sagte einer der neu Eingestiegenen, ziemlich laut und gehässig, soweit sei das jetzt gekommen, das unsereinen nach der Arbeit stehen müsse, weil der Bus mit Ausländern verstopft sei.
Ich weiss noch, wie ich sagen wollte, zwei von sechzig, lächerlich! Und überhaupt. Tausend Dinge wollte ich sagen, von gleichen Rechten für alle, von Werten wie Höflichkeit und respektvollen Umgangsformen, und nicht zuletzt vom Wohlstand dieses Landes und dem Anteil, den gerade die Fremden daran haben. Dann aber schwieg ich, ich hatte zu lange gedacht statt gehandelt, den Moment verpasst, die richtigen Worte nicht gefunden. Auch sonst hatte niemand etwas gesagt. Und der Bus trug das Gefühl von Feindseligkeit bis in mein Dorf.
Viel später hielten mein Mann und ich uns eine Zeit lang in der Türkei auf. Hier waren wir die Ausländer. Wir besuchten das Heimatdorf und die Eltern eines Freundes. Eines Tages zeigte uns Mustafas alte Mutter, wie man den öffentlichen Verkehr benutzt: ein Vehikel namens Dolmusch, was übersetzt ohnehin schon ‚vollgestopft’ heisst. Auf dem Weg vom Dorf in die Stadt machte der Minibus seinem Namen bald alle Ehre. Nach wenigen Stopps fanden die Einsteigenden keinen Sitzplatz mehr. Da meinte einer mit einem Seitenblick auf uns, ziemlich gehässig, kein Wunder, dass man nicht sitzen kann, da hat es zu viele ‚yabanci’ – Fremde. Vielleicht sagte er auch etwas anderes, wir verstanden nur eben das Schlüsselwort. Doch wie es fiel, sprang unsere Begleiterin schon auf und ging regelrecht auf den Redenden los. „Das sind keine yabanci“, fuhr sie ihm über den Mund, „das sind meine Gäste!“ Misafir. Ah! Die Gesichter der Mitreisenden, die alle schon so geschaut hatten, hellten sich auf. Der Chauffeur drehte seinen Kopf und nickte, die Stimmung im Wagen wechselte binnen Sekunden von feindlich-ablehnend zu wohlwollend-freundlich. Und beim Aussteigen verabschiedete man uns mit einem Lächeln.
So habe ich nach Jahren, die richtigen Worte doch noch gefunden – Mustafas Mutter hat sie mir gezeigt.
(24.01.2011)
Zurück